Bibelvers der Woche 26/2019

…daß du meine Feinde hinter sich getrieben hast; sie sind gefallen und umgekommen vor dir.
Ps 9,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Bewahrung und die Feinde

Der Betende wird gerettet und dankt dem Herrn. Es wurde festgestellt, dass Psalm 9 und der ganz anders, fast verzweifelt gestimmte Psalm 10 ursprünglich eine liturgische Einheit bildeten — Bitte und Dank. Der gezogene Vers ist in der Übersetzung von 1912 nicht leicht zu lesen. Eine wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen von Vers 3 und 4 ergibt: 

3 Ich freue mich und frohlocke über dich; lobsingen will ich Deinen Namen, du Höchster. 
4 Meine Feinde fliehen nach hinten, straucheln dabei und vergehen vor deinem Angesicht. 

Es ist erstaunlich, wie oft in den Psalmen von den „Feinden“ die Rede ist, mit denen der Betende es jeweils zu tun hat. Vor drei Wochen erst hatten wir einen anderen Psalmvers dieser Art. Es geht um Beleidigung und Schmähung, um Verleumdung und Betrug, manchmal um tödlichen Kampf und wechselseitigen Fluch. Einige Psalmen sind geradezu gefüllt vom Schlachtenlärm. Das entspricht durchaus nicht modernen religiösen Rezeptionserwartungen. Die entsprechenden Stellen sind in der Lutherbibel jedenfalls nie gefettet gedruckt, man öffnet das Buch der Psalmen ja eher auf der Suche nach Kontemplation und Erbauung. 

Was tun damit? Die meisten Menschen haben nicht viele Feinde, ihr Leben mag vom Kampf ums Dasein geprägt sein, aber nicht so sehr durch den Kampf gegen lebende Menschen. 

Mir fallen zwei verschiedene Dinge ein, die vielleicht zusammengehören. 

Erstens. Die Feindfiguren müssen nicht Menschen aus Fleisch und Blut sein: es geht um Umstände, Regelmäßigkeiten, eingefahrene Verhältnisse, die uns schaden und vernichten können. Und wie im Psalm entfalten sie ihre eigentliche Kraft im Plural. Ein Mensch mag im Job demotiviert und überlastet sein. Die Signale in seiner Familie nimmt er nicht wahr — zentrifugale Kräfte aller Art schlagen durch und treffen auf jemanden, der nichts tun kann und will. Die Partnerschaft leidet; wenn auch der andere geschwächt ist, wird aus dem Miteinander ein überfordertes, aufreibendes Gegeneinander, das viel, sehr viel weitere Kräfte kostet. Das Leben wird unerträglich, der Körper reagiert mit Krankheit: Herz, Rücken, Magen, Schlaflosigkeit, psychische Beschwerden. Kurzfristig helfen Alkohol und Tabletten, langfristig schwächen sie weiter. Im Job geht gar nichts mehr. Überall Streit. Ehescheidung, gesundheitlicher Zusammenbruch, Arbeitslosigkeit… Die „Feinde“ triumphieren, sie überrennen die Festung, sie fällt. 

Die Aspekte unserer Lebenslagen sind über unsere Wünsche, Kraftreserven und Abneigungen aufs intimste miteinander verbunden. Mit ein wenig Lebenserfahrung kann man spüren, dass hinter jeder Lebenswelt andere Lebenswelten schlummern, die sich aus den vorhandenen Elementen auch bauen ließen. Zu schönen Lebenslagen gibt es schreckliche Gegenwelten — und umgekehrt. Man kann die Geschichte, die ich skizziert habe, ja auch anders herum erzählen! Versuchen sie’s: Eine Geschichte, bei der jeder Schritt der Gesundung die Kraft stärkt, mit anderen Aspekten des Lebens umzugehen.

Wie gelangt man in die andere, gute Lebenswelt, wenn man erst einmal feststeckt? Wir sind diesem Muster schon einmal begegnet, im BdW 13/2019, Ps 38,3. Der betende Psalmist vertraut auf die Hilfe Gottes, bittet darum und dankt dafür. Gegen die „Feinde“ brauchen wir eine Vision dessen, was manifest nicht ist, Leitung, die unser Wissen übersteigt, Kraft, wo eigentlich keine mehr ist, die Fähigkeit zum Umgang mit Menschen, wenn man nicht einmal mehr sich selbst erträgt. Wir brauchen Gott. Vor deinem Angesicht straucheln die Feinde und vergehen.

Zweitens, und nun stelle ich mir unter den Feinden wieder lebende Menschen vor, mögen wir uns daran erinnern, dass unser Verhältnis zu Gott ein sehr konkretes sein kann und soll, bei dem es zur Sache geht. Der Gott der Bibel ist nicht der abstrakte Gott der Philosophen. Er wirkt in der Welt, nicht hinter der Welt, und seine Gerechtigkeit ist nicht die unsere. Er mischt sich ein, ist parteiisch, und von uns Menschen lässt er sich provozieren, bis aufs Blut reizen, bereden und beschwichtigen. Das ist schwierig für uns. Wir hätten Gott gern regelmäßig und erwartbar, als metaphysisch überhöhte Kombination von Grundgesetz und StGB gewissermaßen. Wenn er sich nun auf die Seite des einen oder des anderen stellt, ist denn das nicht Willkür? 

Und wie können wir ihm dann gegenübertreten? Als selbstbewusste Antragsteller, der sich auf eine gültige Verordnung berufen kann, jedenfalls nicht. Sondern als lebende Menschen, die sich ihrer Schwäche und ihrer Ausweglosigkeit bewusst sind — ungefähr so, wie es die Psalmen vorgeben.

Vor deinem Angesicht straucheln die Feinde und vergehen. Also: Ich wünsche uns eine Woche, in der wir fröhlich über die Feinde obsiegen, mit Gottes Hilfe!
Ulf von Kalckreuth

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